„(…) Regisseur Jörg Behr hat Georg Friedrich Händels Oratorium „Saul“ und seine biblische Geschichte in die Gegenwart geholt. Überzeugend lotet er die Figuren, ihre privaten Konflikte und Entwicklungen aus, zeigt aber auch die politische Dimension des Werks auf. Was er an Handlung erfindet und an doppelten Böden einzieht, regt zum Mitdenken und Hinterfragen an und wirkt lange nach. (..)
Eine von der Regie erfundene Vision vom Propheten Samuel und dem Harfe spielenden Knaben David, der einen Apfel – die Genesis lässt grüßen – in der Hand hält, löst bei Saul einen weiteren Mordversuch an der „Schlange“ David aus. Er hat sie am Busen genährt, und jetzt will sie ihm die Macht rauben. Frank van Hove gibt dem innerlich zerrissenen, tragischen Helden mit edlem, warmem Bass ein menschliches Gesicht.(…)
Auch David gibt zu denken, weil die Regie die Widersprüche dieser Figur herausstellt und sie damit menschlich macht. Dieser sympathische, charismatische Siegertyp gewinnt die Herzen. Das Volk zieht er ebenso auf seiner Seite wie Sauls Tochter Michal und dessen Sohn Jonathan. Doch David hat auch eine dunkle Seite. Den in Plastik eingeschweißten Kopf Goliaths schwenkt er ebenso ungerührt wie er später den Mann tötet, der Saul noch eine Kugel in den Körper jagt, nachdem der sich selbst erschossen hat. David ist in einer Spirale der Gewalt gefangen. Am Ende segnen er und der allgegenwärtige Hohepriester (Lianghua Gong mit silbrigem Tenor) ein goldenes Maschinengewehr. Aus den Trümmern der Vergangenheit (Bühnenbild: Marc Weeger) erheben sich wieder drei Türme, aber der Kampf geht weiter. Der neue Militärdiktator sinkt erschöpft in seinen Sessel, und man ahnt, dass der Wahn auch hier nicht weit ist. (…)
„Saul“ ist aber auch ein Triumph zweier unübertroffen spielstarker Sopranistinnen. Fabelhaft Cornelie Isenbürger, die als Sauls Tochter Michal eine große Entwicklung durchmacht – vom unpolitischen Luxusgeschöpf über die engagierte Frau an Davids Seite bis hin zur desillusionierten Königin. Auch stimmlich ist das ganz groß. Nicht minder beeindruckend und expressiv Melanie Kreuter als Sauls älteste Tochter Merab, die sich von der rassistischen David-Hasserin zur Nachdenklichen, Mitfühlenden wandelt. (…) Ein weiterer „Hauptdarsteller“ ist der Chor. Die Regie hat ihn geschmeidig in das Geschehen integriert. Opernchor und Extra-Chor (Leitung: Hagen Enke) meistern die Herausforderung, die umfangreichen und anspruchsvolle Chorpassagen differenziert zu singen und zu spielen, bravourös. (…)“
„Die Spirale der Gewalt“ von Anke Gronewold
LIPPE AKTUELL am 13. Oktober 2012
„Das Oratorium »Saul« auf der Bühne in Szene zu setzen, war eine große Herausforderung, der sich Jörg Behr gemeinsam mit Marc Weeger (Bühne) und Eva-Mareike Uhlig (Kostüme) gestellt hatten. Alle drei arbeiten zum ersten Mal in Bielefeld und man darf sagen, sie kamen, sahen und siegten. (…) Wie viel Herzblut steckt in dieser Aufführung! Hochachtung und Respekt für alle Beteiligten. Und tief empfundener Dank.“