„Man tut gut daran, Jörg Behrs Freiburger Neuinszenierung der Oper „in einem Aufzuge nebst einem Vorspiel“ nicht mit vorschnellen Interpretationen zu begegnen. Ähnlich wie in dem Stück geht es nicht nur um den Widerstreit zwischen hoher und nied’rer Kunst, zwischen E und U. Auch wenn Behr gerade dazu ein paar interessante Überlegungen beisteuert…
Doch der Reihe nach. Das Stück hat noch gar nicht begonnen, da sitzt der vornehme Herr in der Loge eines martialischen Gebäudes in der Betonbunkerarchitektur der 1970er Jahre. Hochherrschaftlicher Sitz, oder eher moderner Theater- oder Museumsbau (Bühne: Tilo Steffens) – Signum des subventionierten Kunstbetriebs der Gegenwart? Der vornehme Herr kommuniziert in der Pose des Connaisseurs mit dem Bild an der Wand – Gustav Klimts Porträt der steinreichen Wiener Bankiersgattin Adele Bauer-Bloch, hier ist Reichtum ganz klar eine Frage des Geldes. Hugo von Hofmannsthals Libretto weist diese Figur als Haushofmeister aus – sein Vorgesetzter tritt in der Oper nie in Erscheinung. Ullo von Peinen spielt diese Sprechrolle mit köstlich distinguierter Gravität – da gibt ein Zyniker die Befehle seines Herrn auch via Sprechanlage weiter. Oder ist er gar mehr als his master’s voice?
Es ist in dieser großartigen Produktion ein wenig wie in einem englischen Krimi, wo Indizien immer weitere Lösungsmöglichkeiten eröffnen. Klimts Jugendstil-Ikone verweist auf die gemeinsame Entstehungszeit der Werke und den gemeinsamen Schauplatz Wien, Brutstätte der geistigen Moderne. Jenen Ort, an dem zwei Jahrzehnte vor der „Ariadne auf Naxos“ die Psychoanalyse geboren wurde, die Erforschung des Unterbewusstseins. Auch diese Inszenierung spielt mit dem Unterbewussten. Der mysteriöse Haushofmeister erscheint, als er den fatalen „Willen“ seines Herrn verkündet, „die beiden Stücke, das lustige und das traurige… gleichzeitig auf seiner Bühne serviert zu bekommen“, in Begleitung einer quasi Unbekleideten und im dazu passenden Gewand eines anderen: des Zeremonienmeisters aus Stanley Kubricks Filmvermächtnis „Eyes Wild Shut“, für das Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ als Vorlage diente.
Die gedanklich-literarische Verschränkung nimmt ihren Lauf. Sie manifestiert sich zum einen in Schnitzler/Kubrick und Freud und deren Räsonieren über die Triebnatur des Menschen und die „Polarität von Lieben und Sterben“ (Freud). Zum anderen im Antagonismus von heiterer und ernster Kunst, der in Jörg Behrs Interpretation indes zu gar keiner Konklusion gelangt. Denn die Frage einer Koexistenz der Künste interessiert die Gesellschaft nur, insoweit sie ihren Selbstverwirklichungsdrang nicht stört: Trieb geht vor Unterhaltung, und diese vor geistiger Erfüllung.
Diese ebenso pessimistische wie wohl auch realistische Sicht der Dinge deutet Jörg Behrs subtile, (…) Inszenierung dezent an. Der Opernakt – die eingeforderte Liaison der Kunstformen (…) – erscheint im eingedunkelten, spiegelverkehrten Ambiente als Traumspiel. Ariadne – im ersten Akt eine Primadonna wie die Callas (Kostüme: Marc Weeger) schält sich aus den Kleidern des Komponisten – sie ist sein Traum wie sein Albtraum. Welch genialer Einfall der Regie, dem Auftritt des Bacchus’, des vermeintlichen Todesboten, ein ganz anderes Bild zu schenken: Im Nachen rudert der Zeremonienmeister mit venezianischer Maske herein, tanzt mit dem Komponisten, um ihm danach eiskalt den Hals durchzuschneiden… Wie lässt Schnitzler seinen Fridolin am Ende der „Traumnovelle“ aufseufzen? „Kein Traum ist völlig Traum. (…)
Begeisterter Beifall, schon vor der Pause – diese „Ariadne“ muss man erlebt haben!“
„Pflicht für Opern-Fans: ,Ariadne auf Naxos'“ von Alexander Dick
OPERNGLAS, Januar 2013
„Der Regisseur Jörg Behr setzt die beiden sehr unterschiedlich angelegten Teile Vorspiel und Oper gleichermaßen exzellent um, von Marc Weegers treffenden Kostümen bestens unterstützt. Im Vorspiel bildet der Umgang mit Zerbinettas überraschend eingeladener Rockband den Mittelpunkt des Geschehens. In der Oper, die den psychischen Verletzungen des Komponisten Gestalt gibt, gelingen Bilder von enormer Ausdruckskraft.
Zu Beginn [des zweiten Teils] hatte der Komponist seine Kleidung abgelegt und Ariadne wird darunter erkennbar. Später ist er auch Bacchus, der vom venezianisch maskierten Haushofmeister in einem Kahn hereingerudert wird und mit ihm zu tanzen beginnt. Es ist des Komponisten Todestanz, denn am Ende schneidet ihm der schwarz gewandete Sprecher des Auftraggebers die Kehle durch. Das Verbrennen der Noten vollzieht den Abschied von der Kunst. Für den Komponisten bleibt zu hoffen, dass trotz der schrecklichen Erlebnisse im Hause des reichsten Mannes von Wien die Abkehr keine endgültige ist.“
„Freiburg: ,Ariadne auf Naxos'“ von K. F. Schulter